Unmenschliches Regierungsexperiment in Argentinien

Milei, der Spalter

Alejandro Jasinski*, Buenos Aires

Der neue Präsident Argentiniens, Javier Milei, veranstaltet in seinem Land ein ultraliberales rechtes Experiment, mit verheerenden Folgen. Der «Experte» für soziale Spaltung spricht am am WEF in Davos über «Sicherheit und Kooperation in einer geteilten Welt».

GEFÄHRLICH: Der argentinische Präsident Javier Milei will mit seinen Plänen den sozialen Frieden vernichten. (Foto: Keystone)

Am 15. Januar protestierten in Buenos Aires, Argentinien, Delegierte der kämpferischen staatlichen Arbeitergewerkschaft ATE. Für den 24. Januar haben die grossen Gewerkschaften des Landes sogar zum Generalstreik aufgerufen.  Der Grund: die neu gebildete Regierung unter der Leitung des rechtsextremen Libertären Javier Milei und seiner Partei «La Libertad Avanza». Denn der neue Präsident und sein Verbündeter, der ehemalige Premierminister Mauricio Macri, fördern die soziale Gewalt. Macri bezeichnet seine Gegner als «Orks», die bösen Gestalten aus dem Fantasy-Film «Herr der Ringe». Mit all ihren Attributen: hässlich, aggressiv, faul. Und ruft im Gegenzug die Jugend des Landes auf, die «Freiheit» zu verteidigen.

Der frischgewählte Präsident ist jetzt am WEF in Davos. Dort wird er, zynischerweise, an einer Podiumsdiskussion über «Sicherheit und Kooperation in einer geteilten Welt» teilnehmen. Nur wenige können eine bessere Vorstellung davon vermitteln, wie man soziale Brüche vertiefen kann als Milei.

DER PLAN ZUR SOZIALEN SPALTUNG

Im ersten Monat seiner Amtszeit hat Milei drei grosse Ankündigungen gemacht. Die erste, die sofort in Kraft trat, bestand in einer brutalen Abwertung der Landeswährung (Peso) um 118 Prozent, der Entlassung von 7000 im letzten Jahr eingestellten Staatsangestellten und der Streichung von Subventionen für öffentliche Dienstleistungen.

Die zweite Massnahme wurde durch den Erlass eines Megadekrets mit 366 Artikeln bekannt. Es enthält starke diktatorischen Züge, verstösst gegen die wichtigsten Verfassungsbestimmungen und ändert Dutzende von Gesetzen.

Die Regierung will ein autoritäres politisches Regime schaffen und die rechtlichen Grundlagen für den sozialen Ausgleich beseitigen. Mit anderen Worten: ein allgemeines Sparprogramm in den Bereichen Steuern, Währung und Industrie. Die Massnahmen drängen auf die vollständige Liberalisierung des Handels (insbesondere der Importe) und des Finanz-, Banken- und Währungssystems sowie auf die Privatisierung wichtiger staatlicher Unternehmen (z. B. Luftverkehr, Banken und Erdölversorgung).

Andere Massnahmen stellen einen Frontalangriff auf die Arbeitnehmenden dar: Die Deregulierung der Arbeits- und Dienstleistungsmärkte, und der Konsumpreise bedeutet den beschleunigten Anstieg der Kosten für Lebensmittel, Gesundheit, Wohnungsmieten und Unterhaltung. Milei will auch die historischen Gesamtarbeitsverträge kippen. Zudem sollen die Probezeiten verlängert, und die Bussgelder für Firmen abgeschafft werden, die ihre Sozialversicherungs- und Rentenbeiträgen nicht bezahlen. Milei will auch das Streikrecht einschränken und gleichzeitig repressiv gegen Demonstrationen vorgehen.

ALTE REZEPTE, NEU VERPACKT

Milei sagte kürzlich, Argentinien habe seinen Weg zur Grösse vor hundert Jahren verloren. Damals war Argentinien geprägt von einem «oligarchischen Regime», das sich der Ausbeutung der Arbeiterklassen und dem Export von Rindern, Wolle und Holz verschrieben hatte. Dieses Regime stiess mit den ersten Arbeiterorganisationen, Anarchisten, Sozialisten und revolutionären Syndikalisten sofort auf Hindernisse und wurde bis 1920 ernsthaft in Frage gestellt. Die Volksabstimmungen kamen auf, und mit dem Wind der russischen Revolution entstand das, was wir als «argentinische Anomalie» bezeichnen: eine Arbeitermacht, die sich um starke Gewerkschaften nach Branchen organisierte, die dann zu einem der wichtigsten Machtfaktoren in der nationalen Politik wurden.

Diese Periode endete gewaltsam, staatliche und private Kräfte richteten grosse Massaker an Arbeiterinnen und Arbeitern an. Trotz dieser Unterdrückung verschwand die Arbeitermacht nicht. Zwei Jahrzehnte später wurde sie zu einer sozialen und politischen Kraft, die fortan die Geschicke des Staates lenkte: dem Peronismus.

Zu Beginn des Kalten Krieges griffen die aufeinander folgenden Diktaturen immer wieder das Modell des Peronismus mit seinem starken Sozialstaat und seiner Arbeiterprägung an. Schliesslich kam der Staatsterrorismus der 1970er Jahre mit seiner grausamen Politik der Folter und der Ermordung von Dissidenten, die meisten von ihnen Arbeiterführer. Dann wurde eine radikale Politik der «Neuordnung» der Gesellschaft durchgesetzt. Dennoch überlebte diese Arbeitermacht, hart getroffen und mit einer tiefgreifend veränderten Realität konfrontiert.

Mileis Ideen stehen in direkter Tradition mit jenem oligarchischen Regime und seiner liberalen Verfassung aus dem 19. Jahrhundert, angereichert mit den jüngsten diktatorischen Erfahrungen und Wirtschaftsliberalismus. Zweifellos richtet sich der Kern seiner Angriffe gegen diese Arbeitermacht. Diese zeigt der Ausbeutung durch das Kapital weiterhin Grenzen auf, trotz dem Vormarschs und den Veränderungen des Kapitalismus und ihrer eigenen Unfähigkeit, neuen Anforderungen gerecht zu werden.

* Alejandro Jasinski lebt in Buenos Aires. Er ist promovierter Historiker, Journalist und Gewerkschafter.

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